Zwei Wochen andere Welt

Kaminoyama – ein Wort, das für die exotischste und wohl faszinierendste, die weitest entfernte und doch verlockendste Städtepartnerstadt der Baar steht. Seit 1995 besteht sie zwischen Donaueschingen und dieser japanischen Stadt die Anfang der 90-er Jahre OB Everke und die Stadtpolitik fast überrumpelte mit festgefügter Entschlossenheit zum Freundschaftsvorhaben. Etliche Baaremer reisten seitdem nach Japan, lernten Land und Leute kennen oder studierten die dortige Wirtschaft – und genossen vor allem die Gastfreundschaft der Asiaten. Jetzt machten neun Schüler und zwei Begleiter diese und viele andere einprägsame Erfahrungen. Gerade sind sie vom städtisch geförderten Abenteuer Kaminoyama zurückgekehrt. Unter ihnen auch Rathausmitarbeiterin Beatrix Grüninger, die hiervon der Reise berichtet.

Ich habe in Kaminoyama meine zweite Heimat gefunden, “ dohmo arigatoh.“ – Bewegt verabschiedete sich eine der Donaueschinger Schülerinnen von ihrer japanischen Gastfamilie auf dem Bahnhof in Kaminoyama. Allein dieser Satz spricht Bände. Doch wie fing alles an?

Aus insgesamt 40 Bewerbern wurden wir – zwei Begleitpersonen und neun Schüler der Eichendorffschule, Realschule und des Fürstenberg-Gymnasiums – ausgewählt. Wir erhielten die einmalige Chance, für einen zweiwöchigen Schüleraufenthalt nach Kaminoyama zu reisen.

Leises Kribbeln breitete sich beim Kofferpacken aus: Was braucht man eigentlich für zwei Wochen Japan? Auf dem Direktflug zwischen Frankfurt und Tokio/Narita, schnell noch einmal Vokabeln gepaukt. Die Fahrt im Hochgeschwindigkeitszug Schinkansen nach Kaminoyama und dann: Die überschwängliche Begrüßung auf dem Bahnhof in Kaminoyama. Obwohl es mitten in der Nacht war und wir zwei Stunden Verspätung hatten, warteten Mitarbeiter des Rathauses, die Gastfamilien, ehemalige Austauschschüler und Mitglieder der Japanisch Deutschen Gesellschaft WG) auf uns. Sogar Frau Abe, die Ehefrau des Bürgermeisters und Herr Yamaguchi, Präsident der JDG, empfingen uns mit Fähnchen und einem überdimensionalen Transparent „Willkommen in Kaminoyama“.

Die Warmherzigkeit, Aufgeschlossenheit und das Bemühen unserer japanischen Freunde um unser Wohlergehen waren seit dieser Begrüßung ständige Begleiter auf allen Unternehmungen.

Wir hatten nicht viel Zeit, unseren Jet lag“ zu überwinden und uns langsam an den japanischen Sommer (35 Grad Celsius und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit) zu gewöhnen. Neben den vielen Unternehmungen in den Gastfamilien hatte die Stadtverwaltung ein umfangreiches Besichtigungs- und Informationsprogramm organisiert.

Trotz des vollbepackten Terminkalenders des Bürgermeisters Abe wurden wir von ihm und vier weiteren ranghohen Persönlichkeiten der Stadt im Rat haus herzlich empfangen. In hohem Maße freundlich und höflich gestaltete sich dabei das Gespräch mit der Rathausspitze. Fragen nach unserem Wohlbefinden und danach, ob wir die Hitze vertragen. Alle das zeigte wieder einmal, dass unseren japanischen Gastgebern unser Wohlergehen am Herzen liegt. Als Willkommensgeschenk erhielten wir einen überaus wertvollen alten Stadtplan von Kaminoyama. Ein berühmter japanischer Künstler stellte diesen extra für unsere Schülerdelegation her. Mit deutschen Volksliedern bedankten wir uns.

Bei der anschließenden Führung durch das Rathaus erhielten wir einen Einblick in die Arbeitswelt der japanischen Stadtbediensteten. Großraumbüros mit mehreren Abteilungen prägten den ersten Eindruck. In vielen Gesprächen mit verschiedenen Abteilungsleitern versuchte ich den starken Wissensdurst der Japaner am deutschen Verwaltungssystem zu stillen. Hausaufgaben wie das Erstellen von Grafiken über den Verwaltungsaufbau, die Finanzierung der Stadt Donaueschingen und einiges mehr wurden mir mit auf den Weg gegeben.

 

Eine Stadtbesichtigung

Auf der Stadtbesichtigung durch Kaminoyama besichtigten wir das 400 Jahre alte Schloss: das imposante Wahrzeichen der Stadt. Seit 20 Jahren beinhaltet es das Heimatmuseum mit beeindruckenden Kunstwerken.

Beim Gang durch die supermoderne Stadtbibliothek entdeckten wir einen kleinen Nebenraum. Dort wird der Donaueschinger Stadtfilm auf japanisch gezeigt (!) und die „Donaueschinger Vitrine“. Eine Vitrine, in der alle Geschenke der Stadt Donaueschingen der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Auch staunten wir nicht schlecht über die Abteilung „deutsche Literatur“. Um die 300 Bücher von Heine, Goethe, Grass, über Grimms Märchen bis hin zu den Nibelungen bilden einen interessanten Querschnitt der deutschen Literatur.

Im städtischen Kindergarten wurden wir mit Deutschlandfähnchen und „Guten Morgen“ begrüßt. Gemeinsam sangen wir das auch in Japan bekannte Lied „Hänschen klein“ und lehrten den Kindern einige deutsche Begriffe.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen mit den Kleinen ging es weiter zum Mokichi Saito Museum. Mokichi Saito ist ein berühmter japanischer Dichter, der in Kaminoyama geboren wurde. Diesem Dichter haben wir unsere Partnerschaft mit Kaminoyama zu verdanken. Als er vor etwa 80 Jahren Deutschland bereiste, besuchte er auch Donaueschingen und erwähnte unsere Stadt in einigen seiner berühmten Gedichte. Somit wurde Donaueschingen in Kaminoyama bekannt. Ein paar dieser Gedichte konnten wir im Museum bestaunen. Gefreut habe ich mich über eine Art Landkarte, die ich entdeckt habe. Hier wurden alle Standorte der Gedenktafeln an Mokichi Saito aufgeführt: 127 Standorte innerhalb Japans, als einziger Standort außerhalb Japans war Donaueschingen verzeichnet!

 

Bildungsvergleiche

Ein Vortrags- und Diskussionsnachmittag war den Themen Erziehung, Schulsystem und Bildungssystem in Deutschland und Japan gewidmet. Von deutschen und japanischen jugendlichen wurden vorbereitete Referate gehalten. Anschließend wurde über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme diskutiert. Eine nicht enden wollende Frageflut verdeutlichte den gegenseitigen Informationsbedarf. Die eingeplante Zeit wurde um eine Stunde überschritten! Wir haben davon profitiert.

Eine Besichtigung der Meishinkan-High-School veranschaulichte das etwas andere Schulsystem Japans. Trotz Sommerferien herrschte hier Hochbetrieb: Der Besuch von Pflichtkursen sowie freiwilligen Sommerkursen gehört zum Ferienalltag eines High-School Schülers in Kaminoyama. Überrascht waren wir, als wir erfuhren, dass die Schüler nach dem Unterricht das Schulgebäude eigenhändig reinigen. Ob sich das in Deutschland auch durchführen ließe?

Überwältigt waren wir wohl alle von der Willkommensparty der Japanisch-Deutschen-Gesellschaft und der Stadt Kaminoyama. Sie wurde uns zu ehren gegeben. Ober 100 Personen nahmen daran teil und wollten uns kennenlernen. Köstliche japanische Leckerbissen und ein abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm wurde uns geboten. Selbstverständlich trugen auch wir mit einstudierten deutschen Volksliedern zur Unterhaltung bei.

„Hanagasa“ ist ein großes Tanzfestival in Kaminoyama. Weit über 50 Tanzgruppen nehmen dabei abends an einem Umzug durch die Hauptstraße Kaminoyamas teil. Jede Gruppe trägt dabei einen einheitlichen sommerlichen Kimono (Yukata) und führt während des gesamten Umzuges einen eigens einstudierten Tanz auf. Auch wir wurden mit wunderschönen Yukatas ausstaffiert und nahmen als deutsche Tanzgruppe an diesem nächtlichen Treiben teil. Nach anfänglichen Schwierigkeiten beherrschten wir bald den nicht ganz einfachen Hanagasa-Tanz und wurden mit viel Beifall und Zurufen von den Zuschauern belohnt. Die japanischen Musikklänge und die Farbenpracht der Kimonos werden wir wohl so schnell nicht vergessen.

Zwei Tage verbrachten wir im Zao-Gebirge. Dank der kühleren Temperaturen finden hier die sommerlichen Country Cross Läufe statt, an denen auch schon Läufer aus Donaueschingen teilnahmen. Bei einer Wanderung durch das Gebirge wurden wiir mit dem einzigartigen Blick auf den dortigen Kratersee belohnt.

Auf Wunsch mussten wir einen Schnell-Kochkurs mit deutschen Leckerbissen für japanische Köchen. Fünf typisch deutsche Gerichte wurden gemeinsam zubereitet sollen künftig einmal im Monat japanischen Kindern im Kindergarten aufgetischt werden!

 

Staunen in Tokio

Zwei Tage in der Weltmetropolle mit Stadtführung und Besichtigung der bedeutendsten Sehenswürdigkei ten rundeten den gelungen informativen Aufenthalt in Japan ab. Obwohl es sich hier um eine Zwölf Mil lionen- Stadt handelt und man meinen sollte, jeder ist mit sich selbst beschäftigt, begegneten wir auch der Freundlichkeit und Offenheit, die wir in Kaminoyama kennen haben: In einer Eisdiele wurde fragt, woher ich komme, ob es mir in Japan gefällt, und bekam gute Wünsche mit auf den Heimweg. Wildfremde Japaner boten Ihre Hilfe beim Kof ferschleppen auf dem überfüllten Bahnhof in Tokio an…. Schade, dass so etwas in Deutschland eher selten pas siert.

 

Am liebsten nochmal

„Ich würde am liebsten Morgen wieder nach Kaminoyama fliegen !“ verabschiedete sich eine Schülerin von mir auf dem Bahnhof in Donaueschingen. Überwältigt von dem fremden Land Japan, mit der in vielen Bereichen andersartigen Kultur und Geschichte wird diese Reise in das über 10 000 Kilometer entfernte Kaminoyama unvergessliche Erinnerungen bei uns allen zurücklassen. Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Schüler austausch die beste Möglichkeit bie tet, das fremde Land Japan, seine Menschen seine Kultur und Geschichte kennen zu lernen, Einblicke in die Lebensgewohnheiten und in die Ar beitswelt der japanischen Bevölkerung zu verschaffen, einen Beitrag zur Völkerverständigung zwischen Deutschland und Japan zu leis ten und die Freundschaft zwischen unseren beiden Städten zu vertiefen.

Alle das hilft uns, unser eigenes Deutschland, klarer zu sehen, Un terschiede besser zu erkennen  – und nicht selten kann man Japan durchaus zum Vorbild nehmen.